Barrierefreies Web

Das Bundesgleichstellungsgesetz verpflichtet die Verwaltung, ihre Internetauftritte behindertengerecht zu gestalten. Das kommt in § 11, Abs. 1, Satz 1 zum Ausdruck:

Träger öffentlicher Gewalt [...] gestalten ihre Internetauftritte und -angebote sowie die von ihnen zur Verfügung gestellten grafischen Programmoberflächen, die mit Mitteln der Informationstechnik dargestellt werden, [...] schrittweise technisch so, dass sie von behinderten Menschen grundsätzlich uneingeschränkt genutzt werden können.

Auch wenn dort keine Verpflichtung besteht, lohnt es sich ebenso im privaten Sektor, Websites barrierefrei zu gestalten, denn genauso, wie eine Rampe im Bahnhof nicht nur Radfahrern den Zugang erleichtert, erreicht man durch eine barrierefreie Website nicht nur Sehbehinderte besser. Barrierefreie Websites lassen sich sowohl auf mobilen Endgeräten wie PDAs oder Mobiltelefonen als auch mit reinen Textbrowsern betrachten, und der Zugriff mit einem langsamen Modem ist problemlos möglich. Eine barrierefreie Site ist sogar über Suchmaschinen leichter auffindbar.

Bei der Entwicklung einer barrierefreien Website verändert sich unser Fokus. Der Inhalt gewinnt gegenüber der Form mehr Gewicht. Wir wollen schließlich Inhalte transportieren und keine Rechtecke, Kreise und Farben. Überschriften werden durch die entsprechenden Tags so gekennzeichnet, damit sie nicht nur anhand der Schrift als solche erkennbar sind. Im so strukturierten Text kann der Benutzer gezielt Passagen ausblenden oder überspringen, wenn der Browser das anbietet. Tabellen werden nicht mehr eingesetzt, um Elemente auf dem Bildschirm zu positionieren, sondern nur noch als strukturierendes Element, nämlich dort, wo wir es mit einer tabellarischen Darstellung von Inhalten zu tun haben. Zur Umsetzung des grafischen Designs verwenden wir an ihrer Stelle CSS (Cascading Style Sheets). Zwar ist die CSS-Implementierung auf einigen älteren Browsern unvollständig oder fehlerhaft, so dass die Darstellung der Seiten unbrauchbar wird. Vom Benutzer zu verlangen, dass er sich einen einigermaßen aktuellen Browser installiert, ist jedoch ein geringerer Preis, als einige Benutzergruppen von der Benutzung der Site auszuschließen.

Das Ziel ist also nicht, technisch überholte grafische Browser zu unterstützen. Es geht statt dessen in erster Linie darum, möglichst viele Klassen von Endgeräten zu erreichen. Unterstützt werden müssen beispielsweise die Braille-Zeile, ein Ausgabegerät, das mittels beweglicher Stifte Blindenschrift ausgibt, oder der Screenreader, eine Software, die Bildschirminhalte vorliest. In beiden Fällen sorgt eine Umsetzung des Designs mit Hilfe von Tabellen für eine chaotische Darstellung. Außerdem können diese Geräte keine Bilder und Animationen darstellen. Deshalb stellen wir für solche Elemente beschreibende Texte zur Verfügung, die gegebenenfalls an deren Stelle angezeigt werden können.

Die Inhalte werden so aufbereitet, dass die Ausgabe alle Sinne erreichen kann. Ein Video auf einer barrierefreien Website wird mit einer Tonspur ausgestattet, die es erlaubt, das Video als Hörspiel zu verwenden. Hörbehinderten verschaffen wir durch Untertitel Zugang. Und für Textbrowser, langsame Modems und Suchmaschinen stellen wir eine kurze Zusammenfassung in Textform bereit.

Das grafische Design genügt neuen Ansprüchen. Dass es beim Design nur um das optische Erscheinungsbild ginge, ist sowieso ein Irrglaube. Design beschäftigt sich immer auch mit der Funktionalität. Die Inhalte müssen leicht erfassbar und gut erkennbar sein. Eine Navigationsleiste beispielsweise sollte sich deutlich vom Rest der Seite abheben. Bilder sollten kontrastreich sein. Die Schrift sollte einen ausreichenden Kontrast mit dem Hintergrund bilden. Um Menschen mit Rot-Grün-Schwäche den Zugang zu erleichtern, werden Rot-Grün-Kombinationen mit Vorsicht eingesetzt.

Genauso wie bei den Ausgabegeräten zeigt sich eine barrierefreie Site bei den Eingabegeräten flexibel. Die Ansprüche an die Motorik des Benutzers werden außerdem gesenkt. Eine barrierefreie Site lässt sich sowohl mit der Maus, der Tastatur als auch mit dem Joystick am Mobiltelefon bedienen. Die Navigation ist nicht nur chic, sondern funktioniert darüber hinaus auch, wenn der Browser kein JavaScript unterstützt. Die Menüpunkte sind groß genug, dass motorisch eingeschränkte Menschen sie problemlos bedienen können. Als Nebeneffekt erreichen wir den Touchscreen (Bildschirm, der auf Berührung reagiert) als Endgerät.

Bei der sprachlichen Gestaltung der Inhalte werden ebenfalls Zugangshindernisse abgebaut. Die Sprache einer barrierefreien Site ist schlicht, und die Zusammenhänge sind leicht zu erfassen. Wenn Zahlen in Tabellen oder Diagrammen dargestellt werden, wird gleichzeitig die Aussage der Zahlen in einem Satz zusammengefasst. Aus einer mit Zahlen gefüllten Tabelle wird dann beispielsweise der Satz: ,,Umsätze des Jahres 2004 nach Kostenstellen. Zum Jahresende hin ist in allen Bereichen ein deutlicher Anstieg zu erkennen.``

Das W3C (World Wide Web Consortium), ein Zusammenschluss vieler Unternehmen zur Festlegung von Standards für das Web, hat eine Checkliste herausgegeben, mit der man prüfen kann, wie weit einem die barrierefreie Umsetzung eines Projektes gelungen ist. Sie ist im Web zu finden unter
http://www.w3.org/TR/WCAG10/full-checklist.html
(in englischer Sprache). Das W3C gibt dort keine eindeutigen Vorschriften, wie eine barrierefreie Website zu implementieren ist, sondern nennt nur Kriterien, die eine barrierefreie Website erfüllen muss. Die Vorgehensweisen lassen sich daraus zwar teilweise ableiten, tatsächlich gibt es dabei jedoch auch einige Gestaltungsspielräume. Einige Beispiele, wie man mit einfachsten Mitteln die Zugangsschwellen senken kann, befinden sich im nächsten Abschnitt.

Sven Lauritzen 2005-06-30